KUNSTgedankenRaffaels "Triumph der Galatea"

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Raffaels "Triumph der Galatea"

Weil es kaum zu vermeiden ist, dass Rom den Kunstliebhaber an seine Kapazitätsgrenzen bringt und weil eine Romreise immer beides ist: großartig und erschlagend – darum ist es für mich zum liebgewonnenen Ritual geworden, ans Ende eines jeden Rombesuchs die Villa Farnesina am Rande von Trastevere am Tiber gelegen zu besuchen.

Die Aufgabe einen geeigneten Abschluss für eine Kunstreise zu finden, besteht in einer komplizierten Gratwanderung: Einerseits muss man eine gewisse Ermüdung nach einer Woche voll starker Eindrücke einberechnen, andererseits muss man aufpassen, dass der Schlusspunkt nach einer Vielzahl von Höhepunkten, keine enttäuschende Antiklimax darstellt.

Die Villa Farnesina ist für mich der perfekte Ort, um diese widersprüchlichen Anforderungen zu erfüllen. Es ist ein Ort der Fülle und es ist ein Ort der Leichtigkeit zugleich – ein herrlich unangestrengter Kunstort, der ein Romprogramm abrunden kann, bei dem man mit sehr viel antiker und katholischer Überwältigungsästhetik konfrontiert wurde.

Foto: Jean-Pierre Dalbéra / CC BY 2.0 (via flickr.com)

Zwischen 1508 und 1511 hat ein toskanischer Herr namens Agostino Chigi, der sich unter anderem als Bankier des Papstes eine goldene Nase verdient hatte, die Villa am Tiberufer vom Architekten und Maler Baldassare Peruzzi erbauen lassen. Im folgenden Jahrzehnt hat er sich dann um die berühmtesten Maler seiner Zeit bemüht, die aus seinem Luxusdomizil einen Kunstort der Extraklasse machen sollten – nicht von den Dimensionen aber durchaus von der exquisiten Qualität sollte die Villa mit dem Palast der Päpste in Konkurrenz treten können.
Am liebsten hätte Herr Chigi die beiden Superstars der Zeit verpflichtet, die gerade dort drüben im Vatikan für Furore gesorgt hatten: Raffael, der neue Stern am Firmament des römischen Kunsthimmels und seinen älteren Kollegen Michelangelo. Dieser konnte es nur sehr schwer ertragen, dass er nach seinem jahrelangen Kampf an der Decke der Sixtinischen Kapelle (vollendet im Herbst 1512) einen angeblich gleichwertigen Konkurrenten neben sich auf dem Kunst-Olymp akzeptieren sollte. Der jüngere Raffael hatte nämlich zeitgleich in den Privaträumen des Papstes Julius II. Werke geschaffen, die ebenfalls uneingeschränkt bewundert wurden – darunter die berühmte „Schule von Athen“ (1511).

Bei diesem ausgeprägten kunstmäzenatischen Ehrgeiz war es sehr hilfreich, dass Agostino sich 1513 äußerst spendabel gezeigt hatte, als mit dem jungen Giovanni de Medici ein neuer Papst gewählt wurde (er nannte sich fortan Leo X.) Der Chigi-Bankier hatte dem Sohn des Bankiers Lorenzo il Magnifico großzügig die exzessiv kostspieligen Krönungsfeierlichkeiten finanziert. „Man kennt sich, man hilft sich“ – dieser erste und heiligste Glaubenssatz des Kölner Klüngel hat sehr alte (und nicht nur katholische) Wurzeln…

Trotz allerbester Beziehungen ist aber dann der ganz große Traum Agostinos doch nicht in Erfüllung gegangen: Michelangelo war einfach nicht zu haben. Dieser zog sich nämlich bald nach Leos Amtsantritt zurück nach Florenz und überließ dem neunen Papstliebling, dem eleganten Hofmann und Schwarm der vornehmen und weniger vornehmen Frauen (wir glauben jetzt einfach einmal all die schön bunten Überlieferungen der zeitgenössischen Kunstschriftsteller) die ganz große Bühne in Rom.

Raffael verbrachte die verbleibenden 7 Jahre bis zu seinem sehr frühen Tod 1520 wie im Rausch. Er scharte nicht nur Verehrer und Verehrerinnen um sich, sondern auch eine große Zahl gut ausgebildeter Talente, die er offenbar geschickt als Werkstattleiter zu führen wusste. Anders wäre das enorme Pensum an Aufträgen nicht zu bewältigen gewesen. Raffael malte in jener kurzen Zeit eine enorme Zahl an Fresken und Tafelbilder, wurde Leiter der Großbaustelle von Neu-Sankt-Peter und ganz nebenbei noch Chefarchäologe des Vatikans. (Wie er daneben noch jenes exzessive Liebesleben führen konnte, das ihn nach Vasaris Erzählung am Ende sein allzu frühes Ende bescherte, bleibt rätselhaft)

Es ist unvermeidlich, dass bei einer derartigen Produktivität nicht alles die gleiche herausragende Qualität erreicht. Besonders die Fresken aus diesen Jahren sind vermutlich zu erheblichen Teilen auch von seinen Werkstattmitarbeitern ausgeführt worden. Auch wenn sich darunter, wie gesagt, viele Talente tummelten, kommen sie an den Meister selbst doch nicht heran – bei den Feinheiten der Details trennt sich die Spreu vom Weizen.
Man sieht das in den später ausgemalten Räumen der Stanzen und man kann es sehr deutlich auch in der Villa Farnesina beobachten.

Gerade die bekanntesten Fresken der Farnesina zeigen eine ganze Reihe Figuren, bei denen selbst der Laie erkennen kann, dass hier zwar handwerklich sauber, aber künstlerisch nicht auf dem aller höchsten Niveau gearbeitet wurde. Manche Pose wirkt arg gekünstelt und manch anatomisches Detail ist wenig überzeugend.

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Das ist allerdings nicht weiter schlimm, denn der Raum ist trotzdem herrlich als dekoratives „Gesamtkunstwerk“ aus der wundervoll harmonisch leichten Architektur, all den original erhaltenen kunsthandwerklichen Kostbarkeiten und schließlich den bekrönenden Fresken an der Decke, die uns von der verwickelten Leibesgeschichte von Amor und Psyche erzählen.

Und erst im Kontrast mit dem sehr Guten kann man schließlich das herausragende Meisterwerk wirklich schätzen.

Hat Raffael in der Loggia vor allem den Gesamtentwurf und zahlreiche Vorzeichnungen geliefert, konnte Agostino Chigi ihn verpflichten, wenigstens ein Bild ganz eigenhändig zu malen. Es ist das Gemälde, das sich im benachbarten Raum befindet – mein heutiges "Lieblingswerk":


Raffaels "Triumph der Galatea"

Es ist wirklich ein absolutes „Lieblingswerk“ von mir – seit sehr vielen Jahren. Dabei gibt es gewiss ernstere Werke, oder psychologisch oder inhaltlich tiefsinnigere. Es gibt überwältigendere Gemälde, es gibt größere und komplexere Freskenzyklen und anspruchsvollere Raumkonstellationen...
Aber nie hat ein Maler auf dem Höhepunkt seines Könnens mit größerer Leichtigkeit ein nicht unkompliziertes Thema so souverän bewältigt, dass es uns als das Selbstverständlichste von der Welt scheint.


Übrigens: Auch wenn es Agostino Chigi nicht gelungen ist, eine Neuauflage des erbitterten Künstlerduells zwischen Michelangelo und Raffael zu inszenieren (die Reichen und Mächtigen der Zeit liebten solche künstlerischen Gladiatorenkämpfe!) – unser Bankier bekam immerhin einigermaßen würdigen Ersatz. Vermutlich hat Michelangelo selbst Sebastiano del Piombo empfohlen, mit dem er bereits erfolgreich zusammengearbeitet hatte und der einer der wenigen Kollegen war, mit dem er gut auskam (vermutlich, weil der Venezianer ihn bedingungslos verehrte und sich seinem heroischen Stil anzugleichen versuchte)

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Zusammen mit dem Konkurrenten Raffael erzählt Michelangelos Schützling uns also die Geschichte vom Riesen Polyphem (links von Sebastiano gemalt) und der Nymphe Galatea (rechts). Den Kyklopen kennen wir auch aus der Odyssee – da wird er vom verirrten Herrscher aus Ithaka am Ende genarrt …
Auch in der Galatea-Erzählung aus Ovids Metamorphosen wird er zur tragisch-komischen Gestalt, der vergeblich um die schöne „Milchweiße“ wirbt. Unser Mitleid hält sich in engen Grenzen, nachdem wir erfahren haben, dass er seinen Nebenbuhler, den ebenfalls in Galatea verliebten Knaben Akis, kurzerhand mit einem Stein erschlagen hat. Die brutale Gewalttat nützt ihm am Ende nichts - letztlich entzieht sich ihm die schöne Nymphe durch eine Flucht über das Meer, bei der sie sich durch nichts und niemanden aufhalten lässt...


Was ich an Raffaels Bild so bewundere?

Eben diese Leichtigkeit, mit der das Thema umgesetzt ist. Es schildert die Dramatik der Situation ohne jedes schwere Pathos. Das Bild ist wunderschön, ohne oberflächlich oder gar kitschig zu sein.
Das gelingt Raffael mit einer Bildkomposition, wie sie klassischer nicht sein könnte – perfekt ausbalanciert und von klarer Symmetrie – aber man bemerkt es erst wenn man sehr genau hinschaut:

Galatea ist das Zentrum des Bildes. Um sie herum spielt sich ein wildes Getümmel ab – das aber zugleich heiter und harmonisch wirkt, weil alles in harmonisch sich ausgleichende Gruppen aufgeteilt ist:
Tritonen und Meeresgötter bilden mit je einer Nymphe Dreiergruppen links und rechts im Bild. Ein gleichschenkliges Dreieck formen die drei Pfeile schießenden Amoretten.
Unten versucht ein weiterer Putto die Delphine, welche Galateas Muschelboot ziehen (vergeblich) aufzuhalten…
Bleibt noch der trotzig Dreinblickende in der Wolke oben, der reichlich Nachschub an Liebespfeilen heran schafft (und verhindert, dass die symmetrische Komposition gar zu plump und penetrant gerät)

 

Aber das eigentliche Meisterwerk ist doch die Figur der Galatea selbst.

Es gibt viele solcherart verdrehte (Serpentinata-)Figuren in der italienischen Malerei des 16. Jahrhunderts. Oft sehen diese so albern aus, wie wir uns fühlen, wenn wir diese unmögliche Stellung nachstellen wollen (probiert es selbst einmal aus!)
Raffael aber gelingt es, sie völlig selbstverständlich und alles andere als komisch wirken zu lassen. Im Gegenteil: Seine Galatea ist im Zentrum des wilden Tumults ein Muster an Gelassenheit und Grazie. Sie flieht mit erhabener Eleganz und Leichtigkeit und ist dabei auf hinreißende Weise sinnlich schön. Dabei ist die Darstellung eigentlich ziemlich "keusch" (da ist alles "Wichtige" bedeckt) – das ist kein Bild für Voyeuristen.

Die Sinnlichkeit rührt nicht von offensiv zur Schau gestellter nackter Haut, sondern vom verträumt in die Höhe gerichteten Blick, von den golden im Wind wehenden Haaren, vor allem vom leuchtend roten Tuch, das sie so dekorativ flatternd umhüllt und von der Eleganz und Könnerschaft, mit der Raffael all das zu malen weiß...

Ich freue mich sehr, die Dame im kommenden Februar wiederzusehen!

(Vor Polyphem werde ich mich allerdings hüten und lieber nicht zu laut ins Schwärmen geraten!)


In der Galerie zeige ich (zum An- und Durchklicken) noch ein paar weitere Impressionen aus der wunderschönen Renaissance-Villa: