KUNSTgedankenFrank O. Gehrys FONTATION LUIS VUITTON

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Frank O. Gehrys FONTATION LUIS VUITTON

Wer gelernt hat, dass "form follows function" gilt und dass diese Forderung als wichtiger Grundsatz entscheidend ist bei der Beurteilung von Architektur und Design, der muss die Gebäude des kanadisch-US-amerikanischen Stararchitekten Frank O. Gehry strikt ablehnen.
Seine Bauwerke sind nämlich geradezu eine Verhöhnung dieses Gestaltungsprinzips, welches die Ästhetik der radikal-sachlichen Schulen des frühen 20. Jahrhunderts, wie etwa "De Stijl" in den Niederlanden, oder "Bauhaus" in Deutschland maßgeblich bestimmt hat.

Folgt man nämlich dem FFF-Prinzip, das erstmals 1852 vom amerikanischen Bildhauer Horatio Greenough formuliert wurde, soll sich die Form eines gut gestalteten Gegenstands in erster Linie aus seinen praktischen Notwendigkeiten ableiten. Bezieht man das konkret auf ein Bauwerk, heißt das, dass es die Nutzung der Räume sein muss, aus deren Größe und Anordnung sich die Form, die nach außen sichtbar in Erscheinung tritt, gewissermaßen wie von selbst ergibt.

Mies van der Rohes "Neue Nationalgalerie", die 1968 in Berlin eröffnet wurde, ist ein Museumsbau, der ganz aus diesem Geist heraus gestaltet ist: ein gläserner Kubus, der den großen, durch Stellwände flexibel unterteilbaren Innenraum, in dem die Ausstellungen gezeigt werden, umschließt.
Bedeckt ist der Glaskubus von einem großzügig überstehendem Flachdach, das außen in großen Abständen von schmalen Stahlsäulen getragen wird, wodurch dieses Dach fast wie ein schwerelos schwebender Körper erscheint.
Alles ist hier klar, nachvollziehbar und von schlichter sachlicher Eleganz.

Foto: Friedolin freudenfett / CC BY-SA 4.0 (via WikiCommons) / beschnitten

Besucht man dagegen Gehrys "Fondation Luis Vuitton", hat man im Inneren des Gebäudes keinerlei Vorstellung davon, wie das Gebäude nach außen hin wirkt. Ebenso wenig lässt der Anblick der äußeren Hülle irgendwelche Rückschlüsse darüber zu, was sich hinter der Fassade verbirgt. Die Ausstellungen werden in einer nüchternen Raumabfolge schlichter fensterloser Räume gezeigt. (Man folgt besser den Wegweisern, da man sonst sehr leicht die Orientierung verliert.)

Die Gebäudehülle besteht aus 12 riesigen, segelartigen Elementen aus Glas, Stahl und Holz, die mit Streben an einem festen Gebäudekern befestigt sind, dessen Formen sie aber nicht spiegeln, sondern vor dem sie sich frei schwingend ausbreiten und scheinbar schwerelos sich selbst genügen dürfen.

Auf dem Rundgang im Gebäude findet man auch verschieden Skizzen und Entwurfsmodelle, die Gehry angefertigt hat, als er 2006 vom französischen Milliardär Bernard Arnault, dem Vorstandsvorsitzenden des Luxusartikelkonzerns Moët Hennessy Louis Vuitton, den Auftrag bekam, ein Privatmuseum zu bauen. 2014 wurde es dann am Rand des Bois de Boulogne im Westen von Paris eröffnet.

Diese Ideenskizzen zeigen deutlich, dass sich der Architekt seine Gebäude als riesige Skulpturen denkt. Alles entscheidend dabei ist offensichtlich die äußere Form. Die notwendigen Räume werden sich hinter der glänzenden Fassade schon irgendwie unterbringen lassen.

Puristen rümpfen die Nase.


Als ich 2018 erstmals nach Bilbao geflogen bin, war ich sehr gespannt, wie ich Frank O. Gehrys berühmtestes Gebäude, die spanische "Zweigstelle" des Guggenheim-Museums, erleben würde, wenn ich es leibhaftig vor mir sehe. Die weltweite Beachtung dieses Bauwerks hat Gehry zum vielleicht berühmtesten Architekten unserer Zeit aufsteigen lassen.

Ich hatte eine große Portion Skepsis mitgebracht – ein Misstrauen, das daher rührte, dass ich eben mit genau jenen Ideen von "Aufrichtigkeit" und "Ehrlichkeit" des FFF-Ideals aufgewachsen bin.

Ist das nicht alles nur Schein und zu wenig Sein?
Glitzernde Oberflächlichkeit und fehlende Tiefe?

Als ich dann davor stand, fielen all diese Bedenken in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
Das ist einfach aufregend, das ist beeindruckend, ist bestechend, ist wunderschön – Ende der (mit mir selbst geführten) Diskussion...

Gehrys Bauten, wie die anderer Architekt*innen, die dem so genannten "Dekonstruktivismus" zugeordnet werden, passen sehr in unsere Zeit.
Nichts ist so symptomatisch für diese Zeit, wie die ständige Suche (Sucht) nach dem perfekten Foto.
Dieses muss glänzen, muss fesseln, überraschen, umwerfen...
Per WhatsApp-Nachricht verschickt oder via Instagram geteilt, soll es den Neid eines Empfängers hervorrufen, der dann möglichst bald an genau denselben Ort reisen will, um ein ganz ähnliches Bild verschicken zu können...
Gehry-Museen sind perfekte Motive und (ähnlich wie Kunstprojekte von Olafur Eliasson oder Verhüllungs-Aktionen von Christo&Jeanne-Claude) für den Kulturliebhaber das, was tropische Palmenstrände oder Himalaja-Gipfel für den Naturfreunde sind.

Sehr "zeitgeistig" ist das alles also – keine Frage. Aber das war Mies van der Rohes "Neue Nationalgalerie" mit ihrer demonstrativen Sachlichkeit in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts natürlich auch (genauso wie die zeitgleich entstandenen minimalistisch herben Stahlskupturen Richard Serras oder eine "Fettecke" von Joseph Beuys)

Ich habe also beschlossen, mich nicht länger von miesepetrigen Kunstdogmen irre machen zu lassen. Diese Architektur ist beeindruckend spektakulär, sie macht Spaß, sie überwältigt, ist ein großer sinnlicher Genuss und ja: einfach verdammt fotogen: