KUNSTgedankenSkulptur und Plastik

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Skulptur und Plastik

Was ist der Unterschied zwischen einer Plastik und einer Skulptur?

Gibt es den überhaupt? Oder kann man beide Begriffe ganz einfach synonym verwenden?

Die Antwort lautet: JEIN

In einem „Skulpturenpark“ oder „Skulpturenmuseum“, das ist uns allen klar, wird sehr wahrscheinlich nicht nur ein ganz bestimmter Typ bildhauerischer Werke ausgestellt sein. „Skulptur“ wird hier (von Fachleuten, die es wissen müssen) schlicht als Überbegriff für jegliche Form von künstlerischer Äußerung, die in irgendeiner Weise räumlich-dreidimensional ist, verwendet.

Also scheint es doch eigentlich keinen Unterschied zu geben oder jedenfalls scheint er nicht besonders wichtig!?

Im Prinzip ja - und doch ist es ein wenig komplizierter.

Kunsthistoriker haben sich in der Vergangenheit auf eine Bergriffsunterscheidung einigen wollen, die auch durchaus sinnvoll ist, weil sie nämlich zwei fundamental unterschiedliche Vorgehensweisen bei der Herstellung eines bildhauerischen Werks beschreibt:

Eine Skulptur (in diesem engeren Sinne) ist ein Kunstwerk, das durch „Heraushauen aus einem festen Material“ entstanden ist. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist es also ein bildhauerisches Werk aus Stein oder Holz. (Im Prinzip könnte man eine Skulptur aber auch aus einem Block Styropor raspeln oder aus einem Stück Hartkäse schnitzen).

Eine Plastik dagegen entsteht aus einem weichen formbaren Material, wird aus diesem zusammengesetzt und modelliert. Klassischerweise verwendet man dafür feuchte Tonerde (Modellierton). Bildhauer haben früher oft mit Wachs modelliert – besonders zur Herstellung von Kleinplastiken oder Modellskizzen, so genannter Bozzetti. (Aber auch hier sind der Fantasie eigentlich keine Grenzen gesetzt – alles was weich und formbar ist, ist möglich und erlaubt.)

Entscheidend ist also nicht das Material, wie man gelegentlich fälschlicherweise liest, sondern die Arbeits- bzw. Herstellungsweise!

Dabei haben wir im ersten Fall zunächst einen Stamm oder Block, der das gesamte Volumen der späteren Skulptur vollständig erhält. Der Bildhauer arbeitet sich von außen (von der Oberfläche) nach innen vor und schnitzt, meißelt oder raspelt das „überflüssige“ Material weg. Oder, wie es in jenem vielzitierten Bonmot heißt:

Wie forme ich einen Löwen aus einem Stein?

Ganz einfach: indem ich alles weghaue, was nicht nach Löwe ausschaut.

Kein Löwe aber dennoch eine klassische Steinskulptur, die aus einem Block Granit herausgehauen wurde: Max Bills „Unendliche Schleife“ (1974) im Stadtgarten in Essen.

 

 

 

 

 

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Im zweiten Fall (der Plastik) geht der Bildhauer den umgekehrten Weg: Am Anfang hat er nichts – oder besser: nur das amorphe formbare Material. Das setzt er, sich Stück für Stück von innen nach außen vorarbeitend, zusammen, er ergänzt, nimmt weg und fügt wieder hinzu, formt und verändert, bis er seine endgültige Form gefunden hat.

Ein schönes Beispiel für eine modellierte Plastik aus dem 20. Jahrhundert ist Emy Roeders Figur „Tripoli III“ (1963), die man im Skulpturenhof des LVR Landesmuseums Bonn findet. Wie die meisten Plastiken, ist sie von der Künstlerin ursprünglich in Ton modelliert und dann zunächst in Gips und in einem nächsten Schritt in Bronze gegossen worden. Anders als bei Stein- oder Holzskulpturen ist eine modellierte Ton- oder Wachsplastik nicht dauerhaft haltbar und muss zu diesem Zweck in ein festes Material transformiert werden.

 

 

 

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So weit ist das recht klar und nachvollziehbar. Warum aber hat sich diese Begriffstrennung dann offenbar dennoch nicht allgemein durchgesetzt?

Der wichtigste Grund ist wohl folgender: Was in früheren Zeiten eine durchaus hilfreiche Unterscheidung war, hat heute viel von seiner Relevanz für die Betrachtung von Bildhauerei verloren.

Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts gab es (und das seit sehr vielen Jahrtausenden) in der Bildhauerei nämlich tatsächlich nur genau diese beiden beschriebenen Vorgehensweisen. Seitdem aber haben die Künstler immer neue Techniken bzw. Herangehensweisen gefunden, mit denen Sie ebenfalls dreidimensionale Kunstwerke herstellen können: Indem Sie zum Beispiel bereits fertige feste Teile nehmen und diese zusammensetzen (schrauben, kleben, binden, nieten, schweißen…). Vor allem in der Metallskulptur (z.B.  aus Eisen oder Stahl) ist das die übliche Vorgehensweise. Das sind also weder Plastiken noch Skulpturen in diesem beschriebenen Sinne, weil da ja weder gemeißelt noch geschnitzt aber auch nicht modelliert wurde. Das konstruktive Zusammensetzen fester Teile ist nur eine von zahlreichen neuen „Techniken“, die heute zum sehr weiten Feld dessen gehört, was wir Bildhauerei nennen: Readymade, Objektkunst oder Installation zum Beispiel und all die Mischformen verschiedener Vorgehensweisen (alles weitere Kunstbegriffe, die in dieser Rubrik mal geklärt werden können).

Die rot lackierte Stahlskulptur L'Allumé (1990) von Mark di Suvero am Bonner Rheinufer vor dem Bundeshaus ist ein typisches Beispiel für jene konstruktive Vorgehensweise, mit der die Bildhauer sich im 20. Jahrhundert völlig neue Möglichkeiten erobert haben. Der amerikanische Bildhauer (geb. 1933) montiert große Stahlträger, die ursprünglich für nicht-künstlerische Konstruktionen gefertigt wurden, zu raumgreifenden Gebilden zusammen.

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Machte die strenge Unterscheidung zwischen Skulptur und Plastik bis ins frühe 20. Jahrhundert also durchaus Sinn, hat sie heute weitgehend ihre Bedeutung verloren und spielt deshalb keine große Rolle mehr.

Trotzdem: Einfach synonym sollten Sie die Begriffe dennoch nicht verwenden.

Was dann?

„Skulptur“ (vom lateinischen „sculpere“ = meißeln/schnitzen) hat sich, wie wir oben am Beispiel des „Skulpturenparks“ oder „Skulpturenmuseums“ gesehen haben, als Oberbegriff durchgesetzt. Wir würden nie von einem „Plastikpark“ oder „Plastikmuseum“ sprechen. Dabei wäre das Wort „Plastik“ eigentlich eher prädestiniert gewesen als Sammelbezeichnung, denn es leitet sich vom lateinischen Wort „plastica“ ab, das einfach „formend“ oder „geformt“ bedeutet – was ja doch im Grunde viel allgemeiner ist. Warum das so gekommen ist? Ich weiß es nicht. (Vielleicht weil wir das Wort Plastik auch für Kunststoffe verwenden?)

Wie komplex und vielschichtig alles geworden ist, erkennen wir auch, wenn wir uns Skulpturen von Ulrich Rückriem, wie etwas seine Stelen aus dem Essener Skulpturenwald, ansehen. Sie sind aus dem klassischen Material Stein. Dennoch ist kein einziger Meißelhieb daran vorgenommen worden. Nichts ist weggenommen, die Form ist nicht aus dem Block herausgeschält worden. Stattdessen findet der Bildhauer seine Formen, indem er den Steinblock bohrt, spaltet und aufsägt und anschließend wieder zu einem Block zusammensetzt. Wie Ornamente oder rätselhafte Zeichen sehen die Spuren der beschriebenen Bearbeitung auf dem Stein aus. Rückriem endet da, wo ein klassischer "Skulpteur" eigentlich erst beginnen würde.

Die Welt der Kunst ist also bunter und vielfältiger geworden durch all die Innovationen der Moderne – und damit verwirrender und schwieriger in Schubladen zu packen und in Begriffen zu fassen…

Als Fazit bleibt festzuhalten: Wenn Sie auf keinen Fall etwas falsch machen wollen, sagen Sie einfach immer „Skulptur“. Verwenden Sie „Plastik“ nur, wenn es sich wirklich sicher um ein modelliertes Werk handelt. So sind Sie garantiert (auch im Gespräch mit pingeligen Kunstfachleuten) auf der sicheren Seite.