KUNSTgedankenDer Street-Art-Künstler BLU

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Der Street-Art-Künstler BLU

"RECLAIM YOUR CITY" – die beiden Cuvry-Graffiti aus dem Jahr 2009 (Cuvrystraße, Berlin Kreuzberg)

Foto: Frank M. Rafik / CC BY-SA 2.0 (Via WikiCommoms)

"Kreuzberg trägt schwarz"

...titelte der Berliner Tagesspiegel am 12.Dezember 2014.

Für viele Berliner war es ein Schock, als sie erfahren haben, dass zwei der bekanntesten Wandbilder in der Stadt, die als das aufregendste "Street Art Laboratorium" in Europa gilt, übermalt wurden. Die Aktion geschah offensichtlich in Absprache und mit ausdrücklichem Einverständnis des Künstlers, eines aus Bologna stammenden Street Artists der sich Blu nennt und der zu den weltweit Meistbeachteten der internationalen Street-Art-Szene gehört.

Was war geschehen?

Nach jahrelangen Diskussionen wurde im Dezember 2014 das Gelände der so genannten Cuvry-Brache zwangsgeräumt, eine favelaartige Ansammlung von Zelten und Baracken, in denen eine bunte Mischung von Obdachlosen, Punks und Anhängern von alternativen Lebensmodellen aller Art gewohnt hatte. 150 Menschen lebten hier nach ganz eigenen Regeln.

Seit dem Jahr 2007 (überarbeitet und ergänzt bis 2009) prangten riesenhaft die Graffiti Blus an den Brandwänden der angrenzenden Gebäude. Sie gehörten nicht nur zu Berlins berühmtesten und meistfotografierten Street-Art-Werken, sondern sind auch zum Wahrzeichen der Cuvry-Brache geworden.

Die Aktion der Übermalung ist als Protest zu verstehen. Nicht unbedingt gegen die Räumung des hoch problematischen "Wohnprojekts" selbst und auch nicht gegen eine Bebauung in allerbester Stadtlage an der Spree an sich, wie die beteiligten Akteure ausdrücklich betonen. Wohl aber gegen eine Form der Stadtentwicklung, die immer nur eine Richtung kennt und bei der es ausschließlich um Gewinnmaximierung und um das Vergolden so genannter "Filet-Stücke" geht.

Dass in diesem Zuge der Blick auf das berühmt gewordene Wandbild als wertsteigerndes Argument für einen Investor dienen könnte (der später das Bauvorhaben daran scheitern ließ, weil er den vom Berliner Senat geforderten Anteil an Sozialwohnungen nicht akzeptieren wollte), war für den Künstler aus Norditalien nicht akzeptabel. Dann musste das Bild, das unter anderen Voraussetzungen und zu anderem Zweck entstanden ist, eben wieder verschwinden.

YOUR CITY

...ist als sarkastischer Rest-Schriftzug alles, was von dem Kunstwerk übrig geblieben ist.

Foto: Lienard Schulz / CC BY-SA 3.0 (Via WikiCommoms)


Noch radikaler ging Blu in seiner Heimatstadt Bologna vor. Im März 2016 wurde im städtischen Museum im Palazzo Pepoli eine Ausstellung unter dem Titel "Street Art: Banksy & Co - L'Arte allo Strato Urbano" eröffnet. Ohne Rücksprache mit dem Künstler hat man mehrere Wandbilder Blus fachgerecht von den Wänden einiger vom Abriss bedrohter Industriegebäude abnehmen lassen und restauriert, um Sie in die Ausstellung integrieren zu können und dauerhaft "vor der Vernichtung zu bewahren".

Der Künstler wollte seine Bilder aber nicht im Museum haben. Sie waren für die Straße gemacht und sollten der Logik kapitalistischer Wertsteigerung ebenso entzogen werden, wie der kulturellen Deutungsmacht etablierter Ausstellungsmacher, der von Museumsdirektoren und von finanzkräftigen Geldgebern, die sich als Mäzene feiern lassen. Unterstützt von einem breiten Netzwerk an Helfern hat Blu daraufhin aus Protest kurz vor der Eröffnung der Ausstellung alle Wandbilder die er in Bologna in einem Zeitraum von 20 Jahren gemalt hatte, abkratzen und übertünchen lassen.

Bewundernswert konsequent fanden das seine zahlreichen Verehrer – "ziemlich arrogant" nannte es der Jurist und Banker Roversi Monaco, dessen Stiftung die Abnahmen und Restaurierung der Bilder finanziert hat...

Für mich sind es genau diese Fragen, die hier aufgeworfen werden, welche mich am Thema Street-Art so interessieren:

Was ist Kunst?

Wie entsteht sie?

Zu welchem Zweck wird sie geschaffen?

Wer darf über sie bestimmen – über ihre Existenz, ihren Wert, ihre Bestimmung?

Wem gehört die Kunst? (und wem gehört der öffentliche Raum?)

Was kann Kunst bewirken...


Ich gestehe, ich war von der Radikalität des Vorgehens in den beiden geschilderten Fällen ziemlich beeindruckt, als ich davon gelesen hatte.

Lena hat den geschredderten Banksy vor einigen Jahren in der Staatsgalerie Stuttgart fotografiert

Das schien mir tatsächlich um Vieles konsequenter als jener so medienwirksame Coup des noch ungleich berühmteren Street-Art-Stars Banksy, der im Jahr 2018 ein Bild bei Sotheby's versteigern lies, das dann kurz nachdem der Hammer gefallen und das Bildchen für absurde 1,1 Millionen Pfund verkauft war, durch einen im Rahmen eingebauten Mechanismus geschreddert wurde – mit dem Ergebnis, dass erstens Banksy's Namen tagelang in aller Munde war und der Wert seiner Werke weiter in die Höhe stieg und dass zweitens besagtes Bild "Girl with Balloon" selbst ebenfalls in nicht abschätzbarer Höhe im Wert nach oben geschnellt ist (weil weltweite mediale Aufmerksamkeit eines der wertvollsten Güter überhaupt ist in unserer Zeit). Man kann das Ganze nun witzig finden oder auch nicht – glaubwürdige Konsum- und Kapitalismuskritik muss auf jeden Fall anders ausschauen...

 

Foto: Lena Selge

"Medusenhaupt" (2011) an einer Brandmauer in Köln - heute durch einen Neubau eines Hotels zerstört

Natürlich: Auch Blu erregt Aufmerksamkeit und erhöht seinen Marktwert, wenn er in solch aufsehenerregender Weise seine eigenen Werke vernichtet. Anders als der berühmtere Engländer Banksy verweigert sich der Italiener aber viel konsequenter jener alles umarmenden Logik eines kapitalistischen Kunstmarktgeschehens – dieser champagnerseligen Mixtur aus weltweitem Medienhype und hemmungsloser Preisspekulation – wie er die Kunstwelt in den letzten Jahrzehnten immer fester in seinem lächelnden Würgegriff gefangen hält.
Nur ganz selten verkauft Blu einmal eine kleine Zeichnung (dann natürlich ebenfalls zu abenteuerlichen Preisen) und bestreitet damit seinen Lebensunterhalt. Darüber hinaus aber hält er unbedingt an der anti-konsumistischen und anti-kapitalistischen Grundphilosophie der Street-Art im engeren Sinne fest. Seine Bilder gehören der Straße und er verachtet die eitle Idee, dass Kunst für die Ewigkeit geschaffen wird...

© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

War Mural Waschau (2015)

Foto: Achim Bodewig / CC-BY-SA 3.0 (via WikiCommons)

"Statue der Versklavung" (2008) in Breslau

Foto: Andrzej Otrebski / CC BY-SA 3.0 (via WikiCommons)


Ich hatte diesen Artikel bereits vollständig geschrieben, da bin ich bei YouTube auf das folgende Video gestoßen. Es ist so etwas wie eine Gegendarstellung der Ausstellungsmacher und Restauratoren in Bologna. Ich bin ins Grübeln geraten. War vielleicht doch alles ganz anders als ich das aus den mir bislang zur Verfügung stehenden Erzählungen geschlossen hatte?

Ich habe mich entschlossen, diesen hoch interessanten Filmbeitrag ohne weiteren Kommentar ergänzend einzufügen und alle, die sich dafür näher interessieren, mögen sich selbst ein Bild machen....


Wer mehr über Blu erfahren will, kann seine Homepage besuchen, die ich hier verlinkt habe. Dort sind (unter "WALLS") seine Wandbilder in aller Welt zu finden.

Absolut faszinierend finde ich auch die experimentellen Videos, bei denen Blu in Zusammenarbeit mit dem Künstler David Ellis seine Technik der Wandmalerei mit der Video-Technik der "Stopp-Motion" (der Montage einzelner Fotos zu einem Bewegtbild) zu surrealen Animationen verbindet.