KUNSTgedankenLiebe am Werk

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Liebe am Werk

Eine Doku-Reihe des Fernsehsenders Arte

Künstlerpaare sind interessant. Das Geheimnis kreativer Schöpferkraft, die Geringschätzung kleingeistiger bürgerlicher Konventionen, der kämpferisch unbeugsame Wille zur Freiheit – all das erhebt die Liebesbeziehungen kreativ tätiger Menschen hoch über die triste Banalität konventioneller Ehen.

Solche Vorstellungen bergründen Reiz und Erfolg einer Doku-Reihe wie „Liebe am Werk“ des Fernsehsenders ARTE. Ich bin bei meiner Recherche für Sie auf diese Serie gestoßen, habe alle Folgen (nahezu in einem Rutsch) mit viel Vergnügen geschaut und kann Ihnen die neun bislang in Deutschland erschienenen Sendungen (die bis Mitte Juni auf die ARTE-Mediathek und auf dem YouTube-Kanal des Senders verfügbar sind) wärmstens empfehlen.

Aber Achtung! Vielleicht werden Sie enttäuscht. Vielleicht stellen Sie nämlich bald ernüchtert fest: Künstlerbeziehungen sind gar nicht außergewöhnlich - sondern in Wahrheit randvoll von all jenen Gemeinheiten und all der traurigen Trivialität, welche eben die hässliche Kehrseite jener zauberhaften und beglückenden Eigenschaften der Liebe sind.

Sind sie vielleicht sogar noch banaler und gemeiner als die „normalen“ Lieben? Kaum. Anders? Vielleicht (in ein paar Aspekten) – aber allzu viele stereotype Konstellationen sind doch leider einfach nur traurig gewöhnlich.

Er: deutlich älter als sie, oft sehr viel älter (in „seinen besten Jahren“) – jedenfalls meist bereits etabliert und erfolgreich im Beruf, vielleicht schon berühmt; attraktiv und einflussreich jedenfalls (Diego Riviera, Alfred Stieglitz, Man Ray, Gustaf Klimt, Vasily Kandinsky).

Sie: sehr jung noch – talentiert – und (unbedingt!) hinreißend schön und verführerisch. (Fast alle Frauen in den 9 Folgen)

Sie: steht am Anfang und braucht (dringend!) einen „Mentor“.

Er: (meist schon länger) verheiratet, kann (dringend!) einen neuen Impuls in seinem Leben gebrauchen.

Nein: Künstler*innen-Lieben sind nicht wirklich anders als andere Lieben auch.

Aber ja: Sie sind interessant diese Geschichten – alle miteinander!

Während uns nämlich die Liebesgeschichten fesseln (weil uns eigentlich alle Liebesgeschichten interessieren) erfahren wir en passant und spielerisch leicht eine Menge spannender und uns bislang vielleicht unbekannter Details über Leben und Werk der Künstlerinnen und Künstler und über ihre Zeit (fast durchgehend das frühe 20. Jahrhundert).

Oder wir lernen die Künstlerin oder den Künstler überhaupt erst ganz neu kennen! Wussten Sie etwa wer Gerda Taro und Robert Capa waren? (Ich gestehe: Ich hatte die Namen noch nie gehört.)

Die Geschichte des ergreifenden Schicksals dieser beiden Fotografen, die eigentlich Endre Friedmann und Greta Pohorylle hießen, sich als Exilanten mit jüdischen Wurzeln in Paris kennenlernten, die sich aus Vermarktungsgründen eine fiktive Identität und neue Namen erfanden und 1935 gemeinsam als Fotoreporter in den Spanischen Bürgerkrieg zogen – all das sind nicht nur sehr berührende Lebens-, sondern ist auch äußerst spannend erlebbar gemachte Zeitgeschichte.

Weltberühmt wurde Frank Capa mit jenem Foto eines fallenden republikanischen Soldaten, den er genau in dem Moment ablichtet, als ihn der tödliche Schuss in die Brust trifft. Das Foto gilt als eine Ikone der Fotografie des 20. Jahrhunderts und ist das vielleicht einprägsamste Bild des spanischen Bürgerkriegs überhaupt – und ist dabei doch sehr wahrscheinlich in Wahrheit ein Fake, eine künstlich gestellte Szene. Seit langem wird jedenfalls über die „Echtheit“ des berühmten Bildes diskutiert.

Mit solchen „Kleinigkeiten“ aber halten sich die Autorinnen der Sendung nicht auf. Und klar: Will man zwei Lebenswege und -werke in knapp 30 Minuten porträtieren, muss man sich kompromisslos kurzfassen. Dennoch ist das stillschweigende Übergehen des Streitfalls mehr als bedauerlich. Denn die Frage nach Authentizität oder Inszenierung in der Fotografie ist keinesfalls nur eine langweilige Fachfrage für Akademiker. Das berührt im Gegenteil die wichtigsten Kernfragen dieser Kunstgattung überhaupt! (Was natürlich im speziellen Fall der Kriegsberichterstattung in besonders dramatischer Weise gilt)

Differenzierte Kunstbetrachtungen aber sollte man ohnehin von dieser Doku-Serie nicht erwarten – man würde das Format damit wohl auch überfrachten. Auch bei der Schilderung der Paarbeziehungen mag man sich immer wieder (etwas!) mehr Tiefgang und gelegentlich vielleicht einen kritischeren Blick wünschen und muss über manchen arg schlichten oder pathetischen Kommentar großmütig hinwegsehen.

Dass mir das (fast immer) problemlos gelungen ist, ist vor allem dieser wunderbaren unkonventionell spielerischen Leichtigkeit zu verdanken, mit der die Autorinnen ihr Thema verarbeiten. „Liebe am Werk“ ist nicht nur eine Dokumentationsserie im klassischen Sinne. Diese Filme sind vielmehr selbst höchst originelle Kunstwerke. Im engeren Sinn Dokumentarisches (mit vielen wundervollen Archivbildern aus dem Leben der Künstler*innen) mischt sich mit Slapstickeinlagen aus der Stummfilmära (ebenfalls aus Archivmaterial) und gelegentlich mit Comic-Elementen, munter burlesk und sehr virtuos montiert, zu Geschichten mit ihrer ganz eigenen Wahrheit – Kunst eben!

Das ist erfrischend und erlöst von jeglicher Schwere. Die feine Ironie, der augenzwinkernde Schalk lässt jede besserwisserische Kritik (wie meine oben) arg kleinlich erscheinen.

Meine Lieblinsgszene (die in besonders witziger Weise das Potential zur ironischen Brechung dieser Montagetechnik deutlich macht), aus Gabriele Münter & Wassily Kandinsky: Der verheiratete Kandinsky gesteht seiner (Noch-)Ehefrau die neue Beziehung mit Gabriele Münter. Wörtlich im Text:

Wassily beichtet seiner Frau alles. Anja ist am Boden zerstört – und willigt in eine gütliche Trennung ein.

In der nächsten Sekunde sehen wir eine männliche Gestalt (Kandinsky) in grotesk-dramatischem Bogen aus dem Haus segeln und kopfüber im Schnee landen (sein Mantel folgt ihm Sekunden später).

Okay, nacherzählen lässt sich das nicht; schauen Sie sich’s einfach an. Am besten alle neun Folgen! Viel Vergnügen!

Wünscht Ihr / Euer
Ulrich Forster

Georgia O’Keefe & Alfred Stieglitz

Giorgia O’Keefe ist eine der größten Malerinnen der USA und eine Ikone der nordamerikanischen Kultur. Alfred Stieglitz gilt als Wegbereiter der modernen Fotografie. In den 20er Jahren sind sie eines der prominentesten und verufensten Paare der New Yorker Avantgarde.

https://www.arte.tv/de/videos/079434-005-A/liebe-am-werk/

Paula Becker & Otto Modersohn

Der Maler Otto Modersohn verhilft seiner zweiten Frau zu der Anerkennung, die ihr gebührt – heute gilt sie als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Moderne: Paula Modersohn-Becker.

https://www.arte.tv/de/videos/079434-004-A/liebe-am-werk/

Lee Miller & Man Ray

Lee Miller war vor allem als Muse und Geliebte von Man Ray bekannt. Sie war eine Femme fatale von kühler Schönheit, die dem großen Publikum als Künstlerin lange verborgen geblieben ist.

https://www.arte.tv/de/videos/079434-003-A/liebe-am-werk/

Gerda Taro & Robert Capa

In Paris lernt die junge und talentierte Fotografin Gerda Taro den jungen Kriegsfotografen Robert Capa kennen, der in Ungarn der kommunistischen Partei nahestand und gegen das repressive Regime kämpfte.

https://www.arte.tv/de/videos/079434-002-A/liebe-am-werk/

Janne Hébuterne & Amedeo Modigliani

Die schöne junge Frau, Jeanne Hébuterne, die bereits Muse zahlreicher Künstler war, lernt 1917 in Paris den italienischen Maler Amedeo Modigliani kennen und verliebt sich in ihn.

https://www.arte.tv/de/videos/079434-001-A/liebe-am-werk/

Emilie Flöge & Gustav Klimt

Gustav Klimt war der unangefochtene Star unter den Künstlern des Wiener Fin de Siècle. Er war ein Meister der Alchemie, der Farben in Gold zu verwandeln schien. Emilie Flöge war eine der größten Modeschöpferinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Flöge galt als eine faszinierende Person der Wiener Bohème. Flöge lernte Klimt kennen, als sie 18 Jahre alt war …

https://www.arte.tv/de/videos/087411-001-A/liebe-am-werk/

Gabriele Münter & Wassily Kandinsky

Gabriele Münter und Wassily Kandinsky – das ist die unglückliche Liebesgeschichte eines Künstlerpaars der deutschen Avantgarde.

https://www.arte.tv/de/videos/087411-004-A/liebe-am-werk/

Claude Cahun & Marcel Moore

Zwei unbeugsame lesbische Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs gemeinsam Widerstand gegen die deutschen Besatzer leisteten, und zwei unangepasste Künstlerinnen: Claude Cahun, eigentlich Lucy Renée Schwob, war eine Schriftstellerin, Dichterin und Fotografin, die mit ihrer Lebensgefährtin, der Illustratorin Suzanne Malherbe alias Marcel Moore, in Paris einen Salon unterhielt.

https://www.arte.tv/de/videos/087411-002-A/liebe-am-werk/

Frieda Kahlo & Diego Riviera

Künstlerin, Geliebte, Kommunistin, Ehefrau des Wandmalers Diego Rivera und Ikone des Feminismus – Frida Kahlo (1907–1954) hatte viele Gesichter. Als Sechsjährige erkrankte sie an Kinderlähmung, mit 18 Jahren erlitt sie einen schweren Verkehrsunfall.

https://www.arte.tv/de/videos/087411-003-A/liebe-am-werk/