KUNSTgedankenBilderrätsel_72_Auflösung

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aus glasigen Augen schaut er mit leerem Blick an uns vorbei
schwermütig
(man schreibt diese Gemütslage gerne generell der seelischen Grundstimmung seiner Landsleute zu)
lange hat er nicht mehr zu Leben, er hat sich durch seinen Lebenswandel selbst früh zugrunde gerichtet
(seine Nase verrät sein Laster)
aber die 42 Jahre, die er auf dieser Erde hatte (und mindestens zwei seiner großen Werke), reichten doch, um ihn unsterblich zu machen

am 2. August gibt es die Auflösung

Ilia Repin "Modest Mussorgski" (1881) Tretyakov Galerie

Eigentlich waren die Voraussetzungen prächtig für ein glückliches und weitgehend sorgenfreies Leben.
Modest Petrowitsch Mussorgski wurde 1839 als Sohn eines wohlhabenden Landbesitzers geboren. Seine früh sich abzeichnende Musikalität wurde nach Kräften gefördert und als er mit 13 Jahren seine erste Komposition geschrieben hatte, nahm der Vater stolz das Geld in die Hand, um diese drucken zu lassen.
Doch bald schon war sein Leben von krisenhaften Brüchen gekennzeichnet und als 1865 seine Mutter starb, begannen die Phasen exzessiven Alkohol-Missbrauchs und seine langjährige Abhängigkeit, die 1881, kurz nachdem Ilija Repin sein berühmtes Porträt vom Komponisten des "Boris Godunow" und der "Bilder einer Ausstellung" gemalt hatte, zu seinem frühen Tod führte.
Trotz der wenigen Jahre die ihm verblieben und der vielen heftigen Krisen hat Mussorgski ein Werk hinterlassen, dass ihn zu einem der bedeutendsten Komponisten Russlands im 19. Jahrhundert zählen lässt – nach Tschaikowsky gewiss und neben Rimski-Korsakow, einem weiteren Vertreter des sogenannten "Mächtigen Häufleins", jener leidenschaftlichen Sankt Petersburger Wohngemeinschaft, die (wie zahlreiche Schriftsteller und Intellektuelle auch) nach der eigen russischen Musik-Sprache und kulturellen Identität suchten.

Drei weitere Mitglieder jener eigentümlichen Gemeinschaft hat Ilija Repin ebenfalls in wunderbaren Bildnissen verewigt. Nur vom Lehrer Mili Balakirew, dem einzigen professionell ausgebildeten Musiker der Gruppe, existiert (meines Wissens nach) kein Einzelporträt Repins.

links: Nikolai Rimski-Korsakow, mitte: Alexander Borodin, rechts: César Cui

Seit ich 2019 das Glück hatte die gewaltige Repin-Retrospektive im Russischen Museum in Sankt Petersburg zu sehen, bin ich ein unbedingter Bewunderer des Malers, dessen wahre Größe hierzulande (und im Westen allgemein, wo man immer noch allzu eng alles nach den Maßstäben der von Paris dominierten Avantgarde-Erzählungen bemisst und beurteilt) gemessen an seiner grandiosen malerischen Qualität krass unterschätzt wird.
Auch wenn es nur seine (enorme Zahl) Porträts gäbe, müssten wir ihn unbedingt auf eine Höhe mit seinen Zeitgenossen wie Manet, Degas (und allemal über den viel bekannteren Liebermann) stellen. Sie sind alle packend, manche sind einfach großartig und ich behaupte Repin muss zu den größten Porträtisten aller Zeiten gerechnet werden und mit Goya, Velazquez, Rubens und Rembrandt verglichen werden muss.
Das klingt kühn, ich weiß.
Und solche Behauptungen bezüglich künstlerischer Qualität lassen sich ja auch nur schwerlich "beweisen".
Dass Aber Repins Kunst Vergleichen auf höchstem Niveau standzuhalten vermag, zeige ich in der folgenden Gegenüberstellung. Rembrandts "Porträt eines älteren Mannes" aus dem Mauritshuis ist eines der grandiosen Spätwerke des Meisters, es hängt in Den Haag gleich neben dem berühmten letzten Selbstporträt Rembrandts und ich habe es immer wenn ich dort war maßlos bewundert.

Auch Rembrandt zeigt einen Mann, der von übermäßigen "Genüssen" schwer gezeichnet ist (wenngleich dem Tod vermutlich noch nicht so nach, wie Repins Mussorksi).
Alles scheint sich aufzulösen, verschwimmt und verrutscht – ist der Kontrolle entglitten...
Beide Maler aber sind groß genug und so sicher und virtuos in ihren Mitteln, dass es ihnen gelingt, keine hämischen Karikaturen zu schaffen. Ihr Blick ist menschlich und sie diffamieren ihr Gegenüber nicht.
Ohne zu beschönigen schilden sie ungeschminkt was ist und vermeiden dabei doch jede klischeehafte Attitüde. Trotz aller Hinfälligkeit besitzen ihre derangierten Protagonisten eine eigentümliche Größe und Würde. Dieser heikle Balanceakt gelingt nur sehr Wenigen – das ist wirklich große Kunst.