KUNSTgedankenBilderrätsel_70_auflösung

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Nur ein kleiner Zettel mit einem groben Nagel an die Wand geheftet,
das ist alles, was von dem berühmten Bild zu sehen ist...

...und doch ist das Rätsel im Grunde kinderleicht.

 

Ich weiß, das ist eigentlich unter eurer Würde, verzeiht!

 

 

Otto Dix "Bildnis der Eltern" (1924) Sprengel Museum Hannover
Otto Dix "Bildnis der Eltern I" (1921) Kunstmuseum Basel

Er war der Künstler mit dem messerscharfen Pinsel und dem schonungslosen Blick: Otto Dix, der am 2. Dezember 1891 in Untermaus, einem heutigen Stadtteil Geras, geboren ist.
Er war ein Arbeiterkind und er war sein Leben lang stolz auf seine einfache Herkunft. Der Vater Ernst Franz Dix (1862 - 1943) war Former in einer Eisengießerei, die Mutter Pauline Louise (1864 - 1953) arbeite als Näherin.
Als er 1921 die erste der beiden Fassungen des Doppelporträts seiner Eltern schuf, war die Mutter gerade mal 57 Jahre alt, der Vater noch keine 60.
Abgearbeitet und zusammengesunken sitzt sie auf dem zerschlissenen Sofa und wirkt mit ihrem aschgrauen Gesicht, den hängenden Augenliedern und den tief eingeschnittenen Falten um zwei Jahrzehnte älter. Auch ihn haben die langen Jahre harter körperlicher Arbeit schwer gezeichnet.

Wie es wohl für die Beiden gewesen ist, als sie für ihrem Sohn stillsitzen mussten?
Waren sie schockiert vom gnadenlosen Verismus, mit dem sie gezeichnet wurden? Konnte ihnen, den einfachen Leuten, die sich gewiss nicht viel mit den Fragen künstlerischer Avantgarde auseinandergesetzt hatten, das Bild gefallen, das da entstanden ist?
Oder war das egal und sie waren einfach nur stolz auf den wunderlichen Sohn, der so ganz andere Wege beschritt und der es immerhin an die renommierte Dresdner Kunstakademie geschafft hatte, wo er ein kostenfreies Meisteratelier nutzen durfte?

Ein Jahr nachdem er das erste Eltern-Porträt gemalt hatte, zog Otto Dix für einige Jahre nach Düsseldorf. Dort im Umfeld der umtriebigen Galeristin Johanna Ey (die wie Dix aus äußerst einfachen Verhältnissen stammte und die sich mit dem eigenwilligen jungen Künstler vielleicht auch deswegen auf Anhieb gut verstand) und als Mitglied der Künstlervereinigung "Junges Rheinland" stieg Dix in den nächsten Jahren zu einem führenden Maler der Weimarer Republik auf.

Als er dann 1924 die zweite Fassung des Porträts seiner Eltern schuf, war Otto Dix bereits ein echter Künstlerstar – einer über den man überall sprach, der spätestens seit dem Skandalerfolg seines frühen Hauptwerks "Schützengraben" (seit dem 2. Weltkrieg verschollen) von den Einen gehasst und von den Anderen bewundert wurde und an dem jedenfalls kein Kunstinteressierter vorbei kam.

Das spätere Bild ist denn auch das mit Abstand reifere Gemälde. Ein geradezu klassisches Meisterwerk.

Die kompositorischen Holprigkeiten des früheren Bilds hat er erkannt und findet zu einer einfacheren und dabei viel überzeugenderen Lösung. Besonders die räumliche Anordnung der beiden Figuren, wie er sie 1921 im Bild platziert, hat ihn offenbar 1924 (zu recht) selbst nicht mehr überzeugt. Wie aus zwei Einzelbildern ausgeschnitten und etwas unbeholfen wieder zusammengefügt wirken die Protagonisten. Die Beine der Frau scheinen wie abgeschnitten oder sie bohren sich in den Oberschenkel ihres Mannes hinein.
Natürlich: Im Expressionismus und besonders im Kubismus löst man Perspektive und räumliche Verhältnisse bewusst auf – das sind die Avantgarden mit denen Dix als Künstler aufgewachsen ist.
Mit der neo-realistischen Malweise der angehenden "Neuen Sachlichkeit", deren Hauptvertreter Otto Dix werden sollte, verträgt sich das aber nicht so recht.

Im späteren Bild vereinfacht der Maler die Anordnung radikal und das bekommt dem Bild ausgesprochen gut. Nun gelingt ihm eine Komposition von geradezu renaissancehafter Klarheit.

Überhaupt demonstriert der wilde Avandgardist überdeutlich, dass er es zwar mit all den etablierten und aufstrebenden Zeitgenossen in Paris, Berlin oder Mailand aufzunehmen bereit ist, dass seine wahren Vorbilder, mit denen er sich in eine Reihe gestellt sehen möchte, die Heroen der Vergangenheit sind: Rembrandt, Leonardo oder Dürer – das sind die Bezugspunkte mit denen es zu konkurrieren gilt!

links: Rembrandts Porträt seiner Mutter mit der Hand auf der Brust
links: Albrecht Dürer "Betende Hände"

Otto Dix ist der große Altmeister unter den Modernisten des 20. Jahrhunderts. Dass er in seiner großen Zeit, dem Jahrzehnt nach der Zeit seines kometenhaften Aufstiegs in dem die beiden Elternporträts entstanden sind bis zum brutalen Einschnitt mit der Machtergreifung der Nazis, nie in Gefahr gerät, als konservativer oder gar reaktionärerer Maler zu erscheinen, ist seinem unerbittlich modernen Blick auf die Sujets seiner Zeit, die ihn interessieren, zu verdanken. Beide Aspekte seiner Kunst halten sich auf großartige Weise die Waage.

Was aber das zweite Porträt der Eltern zu einem wirklich großen Kunstwerk macht, ist noch etwas ganz anderes. Auch das hat mit Ambivalenz – mit dem Ausbalancieren von Widersprüchlichkeiten zu tun.

Nur auf den ersten Blick ist die Darstellung der Eltern gnadenlos veristisch, ja fast schon ätzende Karikatur. Sieht man aber ein wenig genauer hin, verschwindet dieser Eindruck und verkehrt sich in sein Gegenteil.
Otto Dix zeichnet seine Eltern voll Empathie und warmer Zuneigung (es lässt mich vermuten, in der Familie herrschte eine etwas ruppige Art von Herzlichkeit – unsentimental aber jederzeit ehrlich).
Die weit in den Bildvordergrund gerückten Hände, sie haben ihr Leben lang hat gearbeitet. Das hat sie geformt. Wie Dix sie zeigt (geradezu präsentiert), sind sie jedoch nicht karikiert – ihre Deformationen sind Auszeichnung und keine Schande. Es kommt mir vor, als würde der (eben nur scheinbar messerscharfe) Pinsel des Malers sie zärtlich streicheln.

Am wunderbarsten aber ist die feine Art und Weise mit der der Sohn die tiefe selbstverständliche Verbundenheit seiner Eltern darzustellen weiß.
Sie sitzen da aufgereiht nebeneinander(ungewohnt zu posieren und natürlich etwas ungelenk und vielleicht ein wenig überfordert). Dabei wirken sie aber zugleich auch ruhig und stabil (das macht die klassische Komposition) – sind zusammen eine stabile Einheit geworden in all den Jahren.
Ihr blau-weiß-gestreifter Rock findet seine unaufdringliche Fortsetzung in seinem Hemd.

Und (am allerschönsten!): Diese leichte, fast unmerkliche Berührung ihrer beiden Ellenbogen – gar nicht viel – aber gerade ausreichend, ihnen genau den nötigen Halt zu verleihen, den sie brauchen, um in der immer noch ungewohnte Situation zu bestehen...