KUNSTgedankenBilderrätsel_58 Auflösung

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Es ist ein ebenso faszinierendes wie verstörendes Gemälde.

Es ist höchst brillant gemalt und sehr gekonnt komponiert. Ich habe mich immer gewundert, wie relativ unbekannt dieser große Maler heute doch ist. Er ist ein hervorragender Meister, der im 19. Jahrhundert in Deutschland gemalt hat und der seine großen Vorbilder offensichtlich im niederländischen 17. Jahrhundert gefunden hat.

An der Technik gibt es beim besten Willen nichts auszusetzen.

Aber der Inhalt? Was soll man davon nur halten?!?

...die Auflösung gibt es am 26. April ab 00:00 Uhr


Wilhelm Leibl "Das ungleiche Paar" (1876) Städel Museum, Frankfurt

Ein alter Mann sitzt neben einer sehr jungen Frau, die seine Tochter oder eher noch seine Enkelin sein könnte. Der Titel jedoch verrät uns: die Beiden sind ein Paar.

Der 1844 in Köln geborene und 1900 in Würzburg gestorbene Künstler Wilhelm Leibl hat das Bild gemalt. Er gehört zu den wichtigsten Malern des "Realismus".

Leibl greift ein altes Bildthema auf, das vielfach in der Kunstgeschichte dargestellt wurde: "Das ungleiche Paar"
Besonders die Cranach-Familie hat zahlreiche Gemälde dieses Themas geschaffen. Dabei gibt es sowohl den "Alten Mann mit der (viel zu) jungen Frau" aber auch die umgekehrte Version. Unten zeige ich zwei Varianten.
Besonders das Dresdner Bild zeigt uns überdeutlich, den Zweck dieser Gemälde: Es sind moralisch didaktische Bilder. Die beiden Paare links und in der Mitte sind "unnatürliche" Paare. Mögen die Alten sich auch der Illusion hingeben, es könnte sich um echte Liebe handeln, geht es den Jungen in Wahrheit doch nur ums Geld.
Nur das dritte Paar begegnet sich frei und echte Zuneigung führt es zusammen. So soll es sein!

Kennt man solche Bilder, wird einem erst das provokante Potential des Gemäldes aus dem Städel bewusst. Leibl enthält sich jeden wertenden Urteils. Auf raffinierte Weise verschmilzt er die Beiden kompositorisch zu einer harmonischen Einheit. Äußerst provozierend ist die Darstellung der blutjungen Frau. In der älteren Tradition sollte sie die geldgierige Verführerin sein, die den Alten ausnutzt. Heute würden wir sie eher als Opfer einer Zwangsheirat erwarten, das es zu schützen gilt.
Leibls Figur verweigert sich Beidem. Sie ist weder Verführerin noch Opfer. Ihr Blick ist stark und direkt. Kraftvoll sitzt sie da und zeigt selbstbewusst den goldglänzenden Ring am Finger der gedrungenen Arbeiterinnenhand.

Jedes Mal wenn ich das Bild in der Sammlung in Frankfurt sehe, packt mich diese ungeheure Ausdruckskraft. Dass sich Leibl so demonstrativ jeglicher moralischen Stellungnahme verweigert ist kaum auszuhalten und irritiert einen zutiefst. Genau das aber (neben der ungeheuren malerischen Qualität) macht es zu einem starken und zeitlosen Kunstwerk.

Lukas Cranach d. Ä. "Alte Frau und junger Mann" (um 1520) Szépművészeti Múzeum, Budapest
Lukas Cranach d. J. "Drei Liebespaare" (nach 1537) Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden