KUNSTgedankenBilderrätsel_24

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Ein wirklich ungewöhnliches Bild gilt es heute zu erraten.

Was es so besonders macht, erzähle ich mit...

...der Auflösung am 31. August ab 00:00 Uhr!

 

Paula Modersohn-Becker "Selbstbildnis am Hochzeitstag" (1906) Paula-Modersohn-Becker-Museum, Bremen

Einen nahezu lebensgroßen Frauenakt darzustellen war im Jahr 1906 natürlich nichts Revolutionäres. Die Art und Weise in der das Bild gemalt ist, ist Anfang des 20. Jahrhunderts zwar durchaus modern, aber sie ist (zwei Jahre nach dem Fauvismus-Skandal im Grand Palais und ein Jahr bevor Picasso die Demoiselle d'Avignon fertigstellt) auch nicht völlig ungewöhnlich oder exzeptionell kühn.

Paula Modersohn-Beckers Bilder, die dem deutschen Expressionismus zugerechnet werden, zeichnen sich durch eine Menschendarstellung aus, die den Versuch unternimmt, jegliche demonstrative Virtuosität zu vermeiden und die sich stattdessen die (vermeintliche) Schlichtheit der Volkskunst oder außereuropäischer Kunstformen zum Vorbild nimmt. Dabei bewundere ich an ihren Bildern, dass es ihr (fast immer) gelingt, die Falle eines allzu schlicht verstandenen "Primitivismus", in die so viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen in diesen Jahren tappen (Nolde, Schmidt-Rottluff, O. Müller u. A), geschmackssicher zu erkennen und zu umgehen – sie ist einfach die um Längen bessere Malerin!

Absolut ungewöhnlich war 1906 noch, dass eine Frau einen Frauenakt malt. Erstmals stellt sich außerdem in diesem Bild (soweit bekannt) eine Frau selbst als Akt dar.  Auch im liberalen Paris, wo Paula Modersohn-Becker sich damals aufhält und arbeitet, musste die Künstlerin damit rechnen, dass das als skandalös empfunden würde.
Geradezu verwirrend ist darüber hinaus, dass sie sich unverkennbar als Schwangere porträtiert. Dabei ist sie nicht schwanger zum damaligen Zeitpunkt – sie war es damals auch noch nicht gewesen.

„Dies malte ich mit 30 Jahren / an meinem 6. Hochzeitstag / P. B.“ – so schreibt sie in die Bildecke unten rechts.

Auch das ist irritierend. Paula Becker hatte 1901 den Maler Otto Modersohn geheiratet und das Bild ist also zum 5. Hochzeitstag entstanden. Die Beziehung befand sich damals offenbar in einer Krise. Paula hatte ihren Mann in Worpswede zurückgelassen und ist alleine nach Paris gezogen, um in der brodelnden Hauptstadt der bildenden Kunst Anschluss an die aktuelle Avantgarde zu finden.

Etwa ein Jahr später wird sie tatsächlich schwanger sein – sie hat sich ihrem Mann wieder angenähert und lebt erneut bei ihm. Am 2. November 1907 bringt sie eine Tochter zur Welt. Der Arzt verordnet ihr eine dreiwöchige Bettruhe. Als sie am 20. November erstmals aufstehen erleidet sie eine Embolie. Mit nur 31 Jahren verstirbt eine der begabtesten Malerinnen ihrer Zeit.

"Wie schade" sollen (so hat es ihr Mann überliefert) ihre letzten Worte gewesen sein. Man kann es knapper und zutreffender nicht sagen.